DO YOUR OWN FAST FOOD

16. Mai: Ich habe den Christbaum abgeschmückt. Zwar war unser Familien-Essen erst Mitte Februar, aber dennoch – es ist irgendwie zu spät um sich so richtig zu freuen, dass man was geschafft hat. Ich habe keine Zeit für sowas. Für so Vieles habe ich keine Zeit. Oft frage ich mich, wie all die anderen Menschen es hinbekommen, neben der Arbeit ihren Haushalt in Ordnung zu halten. Die, die immer glänzende Wasserhähne, Esstische ohne Weinflecken, staubfreie Bücherregale und niemals Spinnweben haben. Ich habe fast immer von allem ein bisschen und das, obwohl ich nicht von mir behaupten kann, mich ausreichend um meine Freunde und Verwandten zu kümmern. Die haben sich schon dran gewöhnt. Meine Wohnung gewöhnt sich nicht daran.

Zum Kochen dagegen finde ich fast immer Zeit, spätestens nachts. Möglicherweise besteht da ein klitzekleiner Zusammenhang, denn warum wäre sonst immer irgendwo Mehl, Krümel und Eigelb im Bett und Tomatensauce auf den Schuhen? Das alles wäre natürlich austauschbar gegen einen gigantischen Stapel Pizzakartons neben dem Bett – wenn ich nicht so geizig und narzisstisch wäre, lieber selbst zu kochen, egal wann und in welchem Zustand. „DO YOUR OWN FAST FOOD“ weiterlesen

THIS IS NOT A FOODBLOG

Immer wieder werde ich gefragt, ob ich für das, was ich gerade gekocht habe, das Rezept verraten könne. Als ich jung war, hat mich das besonders dann aufgeregt, wenn ich zum Beispiel gerade etwas gekocht habe aus irgendwelchen Lebensmitteln, die man mir hingelegt hat. Heute ist es eher eine Gelassenheitsübung à la „Was denkt Ihr denn, was in so ein kleines Köchinnen-Gehirn alles reinpasst?“ Irgendwann mal wird jemand kapieren, dass es genau diese Autonomität ist, wegen der ich aus allem etwas kochen kann. Früher konnte das jeder, denn am Ende ging es darum, aus dem, was man hatte, etwas zu Essen zu machen. Irgendwo auf dem Weg in den Überfluss ist uns dieses Selbstbewusstsein abhanden gekommen. Trauen wir uns nicht mehr kreativ zu sein, aus Angst vor Versagen bei der Performance? Geht es um Performance? Klar, auch. Aber auch um Essen. Und dass braucht Kreativität.

Hier und heute eine super Sache, mit der Ihr Leute beeindrucken könnt, was mit Frischkäse essen wollen, aber plötzlich Wochenende ist und es keinen Frischkäse gibt.  Nehmt einen Liter echte Vollmilch, erwärmt ihn mit etwas Salz, gebt den Saft einer Zitrone dazu und lasst die Milch ausflocken. Gießt die Flüssigkeit langsam durch ein Tuch und drückt den festen Teil leicht aus. Seht Ihr? Keine Zauberei ist das.

„Und gibt es ein Rezept, mit dem ich Frischkäse essen kann?“

Aber gerne doch: 2 Liter gutes Öl, 1 Blatt Petersilie, 1 Msp altes Brot, 2 TL Oliven, 8 Knoblauchzehen, soviel Trüffel, wie Du tragen kannst. Merkste selber?

Aber probier‘ mal den Käse!

KEIN DUFT VON FRÜHLING

Meine klugen PR-Freundinnen haben gesagt: mach doch das mit dem Schreiben, wenn Du berühmt bist. Jetzt besser erst mal kleine Videos mit Effekten. „Abholen“ heißt das große Stichwort. Ich mag aber Sachen, die nicht blinken. Ich mag auch gerne Buchstaben. Und ich schreibe sie trotzdem, auch wenn sie keiner mehr liest. Und obwohl ich doch ganz genau sehe, was für ein verschwindend kleiner Teil von Euch die wenigen Buchstaben unter den Instagram-Bildern anschaut. Ist Eure Entscheidung. Und irgendwie auch mein Vorteil, so wie heute, denn es macht mich mutiger, auch mal zu schreiben, was mir stinkt. Und zwar am Frühling. Klar, es sieht alles so schön bunt und neugierig aus, die Sonne scheint schon schön, Vögel, Blüten und gute Laune. Beim ersten T-Shirt Wetter kann man dann gut sehen, dass viele noch nicht drüber nachgedacht haben, mit welchem Oberteil man einer Straßenbahn hinterherlaufen sollte. Das ist ja noch lustig. Nicht lustig dagegen ist es für die Menschen, die besonders gut riechen können. Was einem da auf Bürgersteigen der Stadt wiederfährt ist schwer in Worte zu fassen, von öffentlichen Gebäuden und Umkleidekabinen ganz zu schweigen.

Aber zurück zur Zugfahrt. Ich war zu Besuch in der kleinen Stadt, in der ich geboren bin und hatte etwas Kleines für mich zu feiern, sodass ich mir rituell eine Dose Bier kaufte um sie auf dem Rinnstein sitzend zu genießen und die Gedanken kommen und gehen zu lassen – so wie früher – nur dass wir früher davon keine Selfies geschossen haben. Sagt man überhaupt noch geschossen?

Der Zug kam ein paar Minuten früher als geplant – vielleicht ist auch meine Dosenbiertrinkgeschwindigkeit nicht mehr ganz die alte – jedenfalls war das Bier noch halbvoll. Weil, wie Ihr wisst, Bier kein Spaß ist und Lebensmittelverschwendung schon erst recht nicht, schmuggelte ich es rein. Es ist nicht legal, ich weiß. Seit ich mal in der Nordwestbahn eine Bier-Kohlensäure-Schleuder hergestellt habe, kann ich das sogar nachvollziehen. Dabei war ich gar nicht betrunken, sondern nur unkoordiniert. Ich suchte also einen schwer einsehbaren Zweierplatz, um das Bier zu Ende zu bringen. Die Zugfahrt sollte so eine halbe Stunde gehen, nicht zu kurz und nicht zu lang für ein angetrunkenes Bier.  Im ersten Waggon gab es gleich einen Platz, ich ließ mich nieder, zog meine zu warme Winterjacke aus und atmete tief durch. Es roch nach Pisse. Nicht nur ein bisschen. Wenn keiner raucht, ist ja sowas auch immer gleich viel schlimmer. Im nächsten Waggon roch es nach Energydrink. Ich überlegte umzudrehen, aber der Zwischenraum zwischen diesem und dem nächsten Waggon war näher dran. Schön war es da. Waggon drei: Kölnisch Wasser. Ich versuchte es, aber das Bier schmeckte auch danach. Der Schaffner sagte über den Lautsprecher: „Es besteht Übergang“. Das habe ich noch nie verstanden. Was ist mit Anschluss? Umsteigemöglichkeit? Waggon vier roch nach Kind. „Jetzt hätte ich gerne Übergang“ dachte ich mir. Eine Tür weiter: der Zug war zu Ende. „Zug endet hier“, sagte der Schaffner. Ich nahm einen Schluck warmes Bier und stieg aus. Der Frühling hat mich nicht abgeholt.

 

FASHION FERMENTED – ich bin was ich nicht ess

Manchmal fühle ich mich alt. Ich bin ja auch schon ganz schön alt – über Midde 40. Dann wieder ist es andersrum. Neulich zum Beispiel war ich beruflich in einer Berufsschule. Auf dem Weg ins Klassenzimmer dachte ich mir: Gut, dass ich schon so alt bin. Ich habe nämlich immer noch Angst vor der Pubertät und all den der Selbstfindung dienenden Stimmungsschwankungen, die danach kommen. Manchmal ist alt sein ja sogar modern. Wenn Du zum Beispiel ein Parmesankäse oder ein Balsamico bist. Bin ich aber nicht. Ich weiß nicht, was ich bin. Immer noch nicht.

Fashionable fermentation. Beine: Czarkowska

Es gab Zeiten, da war ich jeden Tag weltmodern gekleidet und dennoch fand mich in unserer beschaulichen Stadt niemand richtig schick, weil Mode so funktioniert, dass man am Anfang eines Trends immer alles ein bisschen hässlich findet. Mode geht immer schneller, je älter man wird und man kann versuchen, sich daran zu gewöhnen. Dinge positiv zu sehen, wie zum Beispiel den Umstand, dass Korn wiederkommt oder für meinen Fall die ausgestellte Hose. Nicht ganz so einfach ist es dann beim Haifischkragen, Plateauschuh und Orange-Graumelange-Kombinationen. Geschmackssache. „FASHION FERMENTED – ich bin was ich nicht ess“ weiterlesen

DRUNKEN PRAWNS – eine Grenzerfahrung

Lange bevor es Foodblogs und Koch-Tutorials gab, hatte ich ein Asien-Kochbuch. Ein Rezept faszinierte mich am Meisten: Drunken Prawns. Man nimmt lebende Garnelen und übergießt sie mit Reiswein. Sie fangen aufgeregt an zu zappeln, sodass man schnell einen Deckel auf das Gefäß gibt – auf dem Foto war es ein gläserner Kochtopf, in dem es unscharf aber anschaulich plantschte. Wie es in dem Buch weiterging, weiß ich nicht. Ich vermute aber, dass die Garnelen, sobald sie so betrunken sind, dass sie schlafen, in kochendes Wasser geworfen wurden. Tausendmal habe ich davon erzählt, es aber nie ausprobiert. Zumindest bis zum letzten Jahreswechsel. Denn da war ich in Hong Kong, der Stadt, in der ich eigentlich leben und arbeiten wollte, bevor ich mich an Weserkilometer 21 verlaufen haben muss.  Hier ein Bericht: „DRUNKEN PRAWNS – eine Grenzerfahrung“ weiterlesen

QUITTENWETTER

Einkochen gegen die Depression

Über’s Wetter reden kann man immer dann, wenn einem sonst gerade nichts mehr einfällt. Mir fällt tatsächlich nicht viel ein in dieser grauen Jahreszeit, außer dass ich es immer noch nicht wirklich schaffe, sie zu vermeiden in dem ich temporär das Land verlasse. Die Jahre, in denen ich mich über die Winterzeit als Koch halbtot gearbeitet habe, hatte ich scheinbar keine Zeit dafür, denn Tageslicht war ohnehin ein unverschämter Luxus. Aber jetzt, wo ich so ein halber Büromensch geworden bin, ist sie wieder da: die Winterdepression.

Dezember

„QUITTENWETTER“ weiterlesen

Flaschen sammeln im Paradies

Pasulj für Branko Vučić

Ich hatte mal eine frisch eingewanderte Bekanntschaft aus Serbien. Branko hatte in vielerlei Hinsicht das, was man bei jungen Männern Balkan-Mentalität nennt, sprich JBG im positiven Sinne – demzufolge auch ein brutal großes Herz. Er sagte: „Ich weiß gar nicht, warum die anderen Leute im Übergangswohnheim so viel auf Deutschland schimpfen, es ist doch das Paradies. In Serbien kannst Du nicht mal Flaschen sammeln!“ Das nenne ich mal eine positive Lebenseinstellung. Wir haben dann nicht über Leergutproblematik und Umweltschutz diskutiert, sondern etwas anderes Schönes gemacht. Serbischen Sprechgesang über Bluetooth gehört, Bier aus Glasflaschen getrunken und über das Kneten von Brotteig philosophiert, worüber er viel mehr wusste als ich. Das hat sehr gutgetan. Geheiratet haben wir nicht.

Schöne Zwiebel

Im letzten Sommerurlaub, in einem Nachbarland mit Meer waren die Bohnen auf dem Markt so schön. So habe ich eine bescheidene Pasulj gekocht und dabei noch mal an Dich gedacht. Acht Portionen zu einem Warenwert von unter einem Euro sind es geworden, stilecht angerichtet in der Apatinsko-Plastikflasche. добар апетит, mein Freund, bleib so, wie Du bist. Sieh das Paradies.

Zweites Leben für Plastikflaschen

Bohnen über Nacht einweichen, Zwiebeln, Knoblauch und Paprikapulver oder Flocken in ordentlich Olivenöl anbraten. Bohnen zugeben und mit Wasser bedecken. Wenn sie fast weich sind, Kartoffelwürfel zugeben. Pasulj schmeckt am nächsten Tag und am übernächsten, mit Petersilie und gebratener Kobasica, mit extra Schwarzkümmel und Chili, mit Paprika und Kapern, mit Feta oder Kaymak, frischen Tomaten oder geröstetem Knoblauchbrot.

Bohnen macht man irgendwie immer zu viel und das ist gut, denn ein zweite paradieshafte Eigenschaft unseres Landes sollte doch die sein, die jahrhundertelang als gestickter Wandbehang unsere Küchen zierte: „Acht sind geladen, zehn sind gekommen, gieß Wasser zur Suppe, heiß alle willkommen.“

Wurst ist kein Spaß

 

 

Was ist ein schönes Leben?

  “Ich will, dass wir ein schönes Leben haben.“ Das hat Johann gesagt. Zum ersten Mal, als wir 2010 gemeinsam die Firma verließen, um frei zu sein. Das zweite Mal, als wir zusammen die unsere gründeten, die eine schöne, leidenschaftliche Zeit brachte, aber auch sehr viel kostete. Zeit, Geld und unser Liebesleben mit dem Gedanken von für immer. Das dritte Mal sagte er es, als wir den Laden zumachten, um wieder uns selber zu gehören. Wer immer wir damals noch waren.

Aber was ist das – ein schönes Leben? Die Jahre danach waren es gewiss nicht. Allein das Rausfinden, was von einem noch übriggeblieben ist, wenn alles um Dich herum nicht nur zusammenfällt sondern verschwindet. Wie wenn jemand stirbt, der immer da war, die Definition seiner selbst. Für den einen bestimmt sich ein schönes Leben durch Statussymbole, für den anderen sind es Kinder, die Deine Spuren in der Welt hinterlassen. Ein geregeltes Einkommen kann es ausmachen, schöne Kleider, Freunde, die einem zuhören in der Not, treue Sauf-Kumpanen, ein sauberer Ruf, ein freistehendes Reihenendhaus am Meer, gelegentlicher Geschlechtsverkehr oder Erfolg im Beruf. Oder auch die Freiheit, seine Meinung sagen zu dürfen, gesunde Beine oder eine heiße Dusche. „Was ist ein schönes Leben?“ weiterlesen