Manchmal fühle ich mich alt. Ich bin ja auch schon ganz schön alt – über Midde 40. Dann wieder ist es andersrum. Neulich zum Beispiel war ich beruflich in einer Berufsschule. Auf dem Weg ins Klassenzimmer dachte ich mir: Gut, dass ich schon so alt bin. Ich habe nämlich immer noch Angst vor der Pubertät und all den der Selbstfindung dienenden Stimmungsschwankungen, die danach kommen. Manchmal ist alt sein ja sogar modern. Wenn Du zum Beispiel ein Parmesankäse oder ein Balsamico bist. Bin ich aber nicht. Ich weiß nicht, was ich bin. Immer noch nicht.
Es gab Zeiten, da war ich jeden Tag weltmodern gekleidet und dennoch fand mich in unserer beschaulichen Stadt niemand richtig schick, weil Mode so funktioniert, dass man am Anfang eines Trends immer alles ein bisschen hässlich findet. Mode geht immer schneller, je älter man wird und man kann versuchen, sich daran zu gewöhnen. Dinge positiv zu sehen, wie zum Beispiel den Umstand, dass Korn wiederkommt oder für meinen Fall die ausgestellte Hose. Nicht ganz so einfach ist es dann beim Haifischkragen, Plateauschuh und Orange-Graumelange-Kombinationen. Geschmackssache.
Mode gibt es auch beim Essen. Das ist erstmal gut so, weil man damit Leute dazu ermuntern kann, etwas wegzulassen, was sie eigentlich gar nicht brauchen. Die meisten derzeitigen Diskussionen über „wie ich esse“ oder „wie Sie essen sollten“ drehen sich nicht um das, was drin ist, sondern um das, was nicht drin ist. „Ohne“ und „Frei“ heißen die Zauberwörter. So bewegen wir uns nicht mehr nur bauchfrei, sondern auch laktosefrei durch die Welt. Wir lassen Mehl weg so wie das untere Viertel der Hose, damit man den Sportschuh gut sieht. Low gibt es auch. An waist und carb und fat. Fehlt nur noch zero an sugar und size – ab da wird’s dann richtig ungesund. Gesund ist so ein Wort, was auch schon seltener wird, viel interessanter sind inzwischen „schädlich“ oder „Gift“.
Wir definieren uns also über die Entscheidung darüber, was wir NICHT essen. So wie wir in der Pubertät entschieden haben, dass, wenn wir zum Beispiel eher der Slayer-Typ sind, nie im Leben Iron Maiden hören werden und Poloshirts für immer und ewig ablehnen. Diese Sachen bleiben. Im Food-Bereich ist es anders. Wir können mal ein halbes Jahr vegan, dann wieder paleo, verpackungsfrei oder ferngesteuert nach einer App essen. Die Superfoods sprießen diametral zur Biodiversität schneller aus dem Boden, als man seine Buddha-Bowl leerlöffeln kann. Auf Porridge umsteigen für den charmanten Darm oder gleich doch Superfood, weil man Pulver nicht kauen muss? Kauen ist ja auch aus der Mode. „Keine Zeit zum Kauen“, so heißt bestimmt der nächste Kochbuchbestseller.
Aber eigentlich wollte ich was über Fermentieren schreiben. Und zwar obwohl es so modern ist. Und obwohl ich nicht alle Menschen, die daran gerade großes Interesse haben, ernst nehmen kann. So ganzheitlich jetzt. Ich werde nicht predigen, wie irre gesund es ist, keinen historischen Rückblick bis zu den alten Ägyptern ausführen, mich nicht in der Erklärung chemischer Prozesse versuchen, sondern schreiben, wie es geht und wie einfach es ist. Vielleicht auch ein bisschen darüber, was es für ein Wunder ist, dass es geht. Dass so ganz ganz ganz kleine Wesen, wie Bakterien und Hefen (sind das Wesen, liebe Veganer?) so gigantische Sachen wie saure Gurken oder Kim Chi machen können. Oder Brot. Auch so ein Wunder.
Mein aktuelles Wunder hießt Spitzkohl-Kim Chi und ist in Wirklichkeit kein Kim Chi, schmeckt aber so ähnlich:
Schneide einen Spitzkohl ohne Strunk in feine Streifen und gib ihn in ein dafür zu großes Gefäß, um ihn zu stampfen. Dafür und für die spätere Gärung brauchst Du Salz, sonst eigentlich nichts.
Ich habe mit diese Powerkombination ausgedacht, Du kannst aber alles machen, wie Du willst. Frisch geriebene Möhre und Ingwer, kleine rote Chili, viel Knoblauch, kleine getrocknete Garnelen, Abrieb von Zitrone, Chiliflocken, Pfeffer, Kurkuma, Kreuzkümmel, geriebenen Palmzucker.
Jetzt mit den Händen so lange kräftig durchkneten, bis Wasser austritt oder, wenn es viel ist, mit den Füßen stampfen. Mit einem Teller bedecken und einem Gewicht beschweren. Eine Woche bei Raumtemperatur und eine Woche kalt stehen lassen. Im Laufe dieser Zeit entstehen Gase – das ist gut so, aber sie müssen entweichen können – also nicht luftdicht verschließen. Im Grunde ist das Produkt zu jedem Zeitpunkt essbar und lange haltbar. In der Zeit, in der es blubbert, solltest Du aber vorsichtig sein und nicht viel auf einmal davon essen, weil sonst uncharmante Sachen in Deinem Darm passieren können.
Du kannst es als Salat essen, mit Kräutern, Erdnüssen und Goji-Beeren, in Dein selbstgemachtes Sonntagsdöner geben, unters Omelett oder ins Kartoffelpurée rühren, deinen Brotteig damit würzig machen oder Deine eigenen Trends setzen.