KEIN DUFT VON FRÜHLING

Meine klugen PR-Freundinnen haben gesagt: mach doch das mit dem Schreiben, wenn Du berühmt bist. Jetzt besser erst mal kleine Videos mit Effekten. „Abholen“ heißt das große Stichwort. Ich mag aber Sachen, die nicht blinken. Ich mag auch gerne Buchstaben. Und ich schreibe sie trotzdem, auch wenn sie keiner mehr liest. Und obwohl ich doch ganz genau sehe, was für ein verschwindend kleiner Teil von Euch die wenigen Buchstaben unter den Instagram-Bildern anschaut. Ist Eure Entscheidung. Und irgendwie auch mein Vorteil, so wie heute, denn es macht mich mutiger, auch mal zu schreiben, was mir stinkt. Und zwar am Frühling. Klar, es sieht alles so schön bunt und neugierig aus, die Sonne scheint schon schön, Vögel, Blüten und gute Laune. Beim ersten T-Shirt Wetter kann man dann gut sehen, dass viele noch nicht drüber nachgedacht haben, mit welchem Oberteil man einer Straßenbahn hinterherlaufen sollte. Das ist ja noch lustig. Nicht lustig dagegen ist es für die Menschen, die besonders gut riechen können. Was einem da auf Bürgersteigen der Stadt wiederfährt ist schwer in Worte zu fassen, von öffentlichen Gebäuden und Umkleidekabinen ganz zu schweigen.

Aber zurück zur Zugfahrt. Ich war zu Besuch in der kleinen Stadt, in der ich geboren bin und hatte etwas Kleines für mich zu feiern, sodass ich mir rituell eine Dose Bier kaufte um sie auf dem Rinnstein sitzend zu genießen und die Gedanken kommen und gehen zu lassen – so wie früher – nur dass wir früher davon keine Selfies geschossen haben. Sagt man überhaupt noch geschossen?

Der Zug kam ein paar Minuten früher als geplant – vielleicht ist auch meine Dosenbiertrinkgeschwindigkeit nicht mehr ganz die alte – jedenfalls war das Bier noch halbvoll. Weil, wie Ihr wisst, Bier kein Spaß ist und Lebensmittelverschwendung schon erst recht nicht, schmuggelte ich es rein. Es ist nicht legal, ich weiß. Seit ich mal in der Nordwestbahn eine Bier-Kohlensäure-Schleuder hergestellt habe, kann ich das sogar nachvollziehen. Dabei war ich gar nicht betrunken, sondern nur unkoordiniert. Ich suchte also einen schwer einsehbaren Zweierplatz, um das Bier zu Ende zu bringen. Die Zugfahrt sollte so eine halbe Stunde gehen, nicht zu kurz und nicht zu lang für ein angetrunkenes Bier.  Im ersten Waggon gab es gleich einen Platz, ich ließ mich nieder, zog meine zu warme Winterjacke aus und atmete tief durch. Es roch nach Pisse. Nicht nur ein bisschen. Wenn keiner raucht, ist ja sowas auch immer gleich viel schlimmer. Im nächsten Waggon roch es nach Energydrink. Ich überlegte umzudrehen, aber der Zwischenraum zwischen diesem und dem nächsten Waggon war näher dran. Schön war es da. Waggon drei: Kölnisch Wasser. Ich versuchte es, aber das Bier schmeckte auch danach. Der Schaffner sagte über den Lautsprecher: „Es besteht Übergang“. Das habe ich noch nie verstanden. Was ist mit Anschluss? Umsteigemöglichkeit? Waggon vier roch nach Kind. „Jetzt hätte ich gerne Übergang“ dachte ich mir. Eine Tür weiter: der Zug war zu Ende. „Zug endet hier“, sagte der Schaffner. Ich nahm einen Schluck warmes Bier und stieg aus. Der Frühling hat mich nicht abgeholt.

 

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