NENN MICH NICHT FOODIE – Epilog zum Jahreswechsel

Mein letzter Eintrag ging kurz vor den Sommerferien online und ich habe gar keine Ausrede dafür, warum diese ganze Seite so verloddert ist. Auch wenn viel zu tun gewesen wäre, selbst im Dezember – wäre nicht die Quarantänepause dazwischengekommen. Die war einerseits bedrohlich, wegen des temporären Verlusts von Geruchs- und Geschmackssinn, andererseits ganz wundervoll mit so viel Zeit mit mir ganz allein. So ist es dazu gekommen, dass die Quarantänepause sich als mein einziger Vorsatz für 2022 ff. entpuppt hat: Das mache ich jetzt jedes Jahr! Ansonsten mache ich mir statt Vorsätzen lieber Zugeständnisse und guilty pleasure Listen, ich hänge nämlich auf einer tropischen Insel fest, da geht’s schon los mit CO2 im weißen Sand. Mit dem Rauchen habe ich nicht aufgehört und ich esse Tiere schon zum Frühstück, obwohl Januar ist. Das Bier vor vier ist durch die leichte Zeitverschiebung Tag für Tag eine spannende Interpretationsangelegenheit. Das Zweitbeste sind die Berge frischer Mangos, weil sie so schön regional sind. Das viele Schlafen mit den herrlichen Detox-Alpträumen lässt sich getrost auf Post-Covid schieben und selbst, dass der Schaumwein hier weder vormittags noch abends schmeckt, ist ein Grund zur Freude, denn ich kann wieder schmecken – Juhu!

Aber wisst Ihr, was das Allerbeste ist? Die Gedanken. Die vielen wichtigen Gedanken, die man sich da, wo der Pfeffer wächst, zu machen gönnt. Was fressen Seesterne? Blühen die Blumen hinter der Gartentür tatsächlich nur tagsüber oder habe ich sie vorhin nur geträumt? Was hat das Schwert des Damokles mit Werder Bremen zu tun? Wie oft muss ich mich bei dem Einsiedlerkrebs entschuldigen, den ich umgebracht habe, was ich erst gemerkt habe, als er aus seinem schönen Muschelhaus hervor über mein Nachtschränkchen gekrabbelt kam und schon nicht mehr gut roch? Wieso fühlt sich das so schrecklich an, obwohl der Oktopus vom Grill hier so köstlich ist? Müsste man sich bei einem Geschöpf mit drei Herzen und neun Gehirnen noch öfter entschuldigen, ihm das Leben genommen zu haben oder geht das nach Gewicht? Warum kann ich nicht so schreiben wie Elke Heidenreich? Einen dicken Bauch kann man besser festhalten als einen dünnen, aber er wird auch schneller kalt. Auch Handrücken kann man eincremen. Einzelne Hibiskus Blütenblätter sehen wie märchenhafte, freundliche Rochen aus. Kommt das Wort Ingenieur von Maschine? Wer hat auf meinen Hula-Hoop gemacht? Ist es selbstoptimierend oder eher selbstwirksam unter Palmen polnische Schlager zu hören? Was wird aus Akrobaten, wenn sie 30 sind, und warum gibt es Knie-Orthesen nur für Hellhäutige? Warum stampfen Massai kein Sauerkraut?

Und dann die Sache mit dem Aschenbecher. „Enjoy!“, sagen die freundlichen Menschen hier, wenn sie ihn (hier sagt man Arsch-Tray dazu) auf Deinen Tisch gestellt haben, und ich denke mir: warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen, in vollen Zügen zu genießen, dass ich einen Aschenbecher habe? Warum klingt das Wort genießen so viel verheißungsvoller als das abgedroschene Genuss, den es, gleich neben der Leidenschaft an jeder Tankstelle zu geben scheint?

Haben wohl alle Europärer:innen die Raunächte für eine strukturierte Retrospektive des vergangenen Jahres genutzt und ist das nicht die bessere Idee, als Populärvorsätze aus dem Internetz zu klauen? Wird echt der Blumenkohl der Heiße Scheiß unter den Superfood-Trends? Ist es einfacher, die Gedanken kommen, oder sie wieder gehen zu lassen?

2021 RETROSPEKTIVE

Schaut man nicht aufs Bankkonto, war es ein ganz wunderbares Jahr in meinem Leben.

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2022 AUSSICHT

Wo ist der Unterschied zwischen Erkenntnis und Bekenntnis? Ich habe Zeit, das Nachzuschlagen, wie wunderbar. Könnte man wohl reich werden mit einem Gadget, das den Umblättersound von Buchseiten beim Klicken in Wikipedia macht? Wann hören Alle auf, sechs mal im Satz total zusammenhanglos „GENAU“ zu sagen? Ich hoffe sehr, dass „GENAU“ nicht von „PURPOSE“ abgelöst werden wird und obwohl ich gerne whatsappe, mache ich mir Sorgen um das Wort Fahrrad. Sagt man das überhaupt noch so?

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Wenn ich bei etwas nicht weiß, wo ich anfangen soll, stelle ich mir manchmal vor, es müsse sehr schnell fertig werden und einen Wecker. 20 Minuten ab jetzt!

STOLZ UND DANKBARKEIT

Ich darf und durfte für Effilee und das Slow Food Magazin so einiges schreiben und habe dadurch viele innerlich und äußerlich schöne Menschen getroffen und ein bisschen kennen gelernt.  In Białystok und Balderschwang, in Würzburg, im Kosovo und in Schleswig-Holstein. Dabei tausend Sachen lernen dürfen über Wein und Esskultur! Ich habe Bilder gemacht, die abgedruckt worden sind, obwohl man „so nicht fotografiert“. Habe Wein rezensiert, obwohl ich keinen Schimmer habe, wo die Rhône einen Knick macht und stattdessen mein eigenes organoleptisches Vokabular inklusive Türklinke, Strohhut und Flohhalsband benutzt.

Venet und Andi Zhubi
Renate Lieb facht den Ofen an

 

Mir selbst habe ich 2021 bewiesen, dass es weder vernünftig noch unmöglich ist, die Kombination von Reisen, Kochen, Bildern und Buchstaben als Beruf zu verstehen.

Danke allen, die mir Mut machen! Reich werde ich dann mit dem Papier-Blätter-Gadget für Google oder irgendwas Veganem Selbstfürsorglichen.

WAS UNTERSCHEIDET EINEN SPACKEN VON EINEM ZIPFELKLATSCHER?

Das habe ich auch mal wieder gelernt: es ist bestimmt für irgendwas gut, dass es sie gibt auf der Welt, aber ich werde jetzt wirklich endgültig nie wieder Geschäfte mit Männern machen, auf die ich mich nicht verlassen kann. Stattdessen:

MEHR KUNST!

Im Sommer wird es endlich meine x-mal verschobene Kunstausstellung in der historischen Kunsthalle zu Cloppenburg geben, sie heißt natürlich „Küche gegen den Weltuntergang“. Mal sehen, was Covid noch so mit uns vorhat – vielleicht darf ja sogar jemand rein?

MEHR WEIN!

Diane und ich geben nicht auf mit unserem #PROTAGONISTWEIN, auch wenn schon wieder fast zwei ganze Semester abgesagt werden mussten. Oh, der Wecker hat geklingelt!

Ich schließe mit guten Wünschen für ein gelassenes, neues Jahr mit den Worten meiner Großmutter: „Nich ärgern, nur wunnern“, zum Beispiel darüber, dass Makita jetzt auch Rasenmäher herstellt.

Dazu lege ich zwei Leseproben mit dem herzlichen Appell:

Liebe Ess- und Trinkkultur- affine Menschen, 

gönnt euch im Jahr 2022 ein paar Papiermagazine – sie rascheln so schön!

Effilee 58 Was ist los im Amselfeld?

Kulinarischer Kalender Slow Food Deutschland

Luka Lübke

 

P.S.: Zweitausendzweiundzwanzig ist ganz schön schwer auszusprechen für die meisten Menschen auf der Welt.

2 Gedanken zu „NENN MICH NICHT FOODIE – Epilog zum Jahreswechsel“

  1. oh wie schön ist das zu Lesen an einem grauen Januartag. Es fühlt sich an wie Milchreis mit Chilli.
    Extra weich und würzig. Danke immer gerne. Ein gutes 2022, auf bayrisch kann ich das gut aussprechen.
    Auch wenn unser Projekt „Genussgemeinschaft Städter und Bauern“ heisst, lassen wir den Namen so stehen, weil…dafür sagen wir niemals genau, dann schon eher…so isses und so lass es sein.

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