HERR DEXTER ist in der SCHEISSE – über Saure Gurken

Es gibt ja Kolumnisten, die reden mit ihrem Kühlschrank. Ich gehörte eigentlich nicht dazu. Bis vor ein paar Wochen, als meiner, ich weiß nicht mal seinen Namen, sich entschloss, lieber ein Gletscher sein zu wollen. Systematisch fraß er von hinten nach vorne den Rumtopf, ein Lieblings-Ouzo-Glas, etwas Unbeschriftetes aus grünen Chili und die tausendjährige Johannisbeermarmelade. Ich hasse Marmelade. Soll er haben. Aber irgendwann brauchte ich das Ouzo-Glas und fing an mit all meinen Badehandtüchern, vielen Schüsseln heißen Wassers, Zuspruch und meinem Fön, den ich nur Haartrockner nennen darf, weil er nicht von Braun ist, eine lange Nacht der Enteisung zu veranstalten.

Es wurden drei Nächte, bis alles blitzblank und abgetaut war. Prost! Darauf, dass alles grad beschissen läuft. Wir haben angestoßen – mehrfach. Darauf, dass wir wieder aufstehen, weil wir (das Gras) stärker sind als der Stier. Auf Bertolt Brecht auch und auf den Scheiß-Job, der nun endlich weg ist. Auf Gott und die Welt, Frauen und fast alles.

Am Tag darauf muss er gespürt haben, dass ich bewusst das Thema Erderwärmung ausgelassen hatte, weil ich es gegenüber einem Kühlschrank irgendwie unsensibel fand. Er gab sich unkommunikativ in seiner neuen Cleanliness und das ist auch okay vor 14 Uhr. Ging mir genauso. Aber seitdem kühlt er nicht mehr. Er scheißt auf seinen Job. Ich bin gar nicht sauer. Dass der Kühlschrank nur noch rauscht und nicht mehr kühlt, gehört zu den Umständen, die ich nicht ändern kann. Das habe ich bei den vielen anderen Malen in-der-Scheiße-sitzen gelernt. Oder stehen. Oder bis zum Hals stecken. Köche-Sprache funktioniert da übrigens ganzheitlicher. Man sagt: ich BIN in der Scheiße. In der Scheiße sein, so komplett vollesballett mit meterlangen Bon-Girlanden, Brandings und archaischem Geschrei, ist etwas Fürchterliches, aus dem man aber immer auch etwas lernen kann. Dass Mis-en-place doch nichts für Feiglinge ist, zum Beispiel.

In der Scheiße des Lebens zu sein ist ähnlich, kann aber leider auch bedeuten, dass man sich gerade keinen neuen Kühlschrank kaufen kann. Und zack ist man reicher. Um häufigere, nämlich tägliche Einkaufs- oder Pflück-Erlebnisse. Um Gespräche mit der ansehnlichen Fleischereifachverkäuferin, die man jetzt öfter für vier Scheiben Wurst sieht. Um neue Lagerkapazitäten in der fensterlosen Waschküche, die jetzt halb Speisekammer ist. Um Ehrfurcht vor Oma, die noch ohne Kühlschrank groß geworden ist und so schönes Apfelmus gekocht hat vom Baum, in dem die Schaukel hing. Und reich an Ideen: Zum Beispiel mal ganz trendy was zu fermentieren. Herzlich willkommen in der Saure-Gurken-Zeit!

Die Zeit für Einlegegurken beginnt, „wenn Spargel vorbei ist und Pfifferlinge losgeht“, also mitten im Sommer. Sie finden sie auf Wochenmärkten heutzutage gar nicht mehr so leicht, also schlagen Sie gleich mit ein paar Kilo zu. Am selben Stand gibt es meistens auch die entsprechenden Kräuter, wie Dillblüten und Senfsaat, schlimmstenfalls im Tütchen, aber Sie wollen ja was erleben und Ihre eigenen Kreationen entwickeln. Im Prinzip konservieren sich die Gürkchen selbst durch malolaktische Gärung, das hat was mit Chemie zu tun und geht so:

Gurken gut waschen und mit Salz und kaltem Wasser einen Tag oder      eine Nacht stehen lassen. Schraubgläser mit passenden Deckeln finden und abkochen. Die Gurken abgießen und in frischem klaren Wasser stehen lassen, während Sie einen Sud aus Ihren Lieblingsgewürzen, etwas Zucker und Essig kochen – klassisch sind Senfsaat, Lorbeer und Wacholder, aber Sie sind der Chef. Nach Ihrem Geschmack Knoblauchzehen, Ingwer, Chili, Meerrettichwurzel oder kleine Zwiebelchen vorbereiten und kurz im Sud mitziehen lassen.

Gurken abgießen und trocken möglichst dicht in die Gläschen geben, frische Kräuter und Zwiebelzeug verteilen, mit dem warmen Sud aufgießen, zuschrauben, umdrehen und überkopf in der Speisekammer reifen lassen. Achtung: stellen Sie einen Behälter darunter, durch die Gärung fängt es irgendwann an zu blubbern wie Sekt, da kann schon mal Flüssigkeit austreten – das ist ganz normal. Wenn Sie Mitbewohner haben, schreiben Sie am besten auch schnell ein „das soll so“-Schild dafür, damit nicht ein ordentlicher Mensch vor der Reife etwas wegwirft, weil es kein Mindesthaltbarkeitsdatum hat und komisch aussieht. Es wird komisch aussehen und phantastisch schmecken. Zur Lagerung eignet sich übrigens auch perfekt ein kaputter Kühlschrank. Aus Trotz.

Saure Gurken isst man natürlich morgens im Bett einfach so, im Norden auf dem Labskaus oder zum Leberwurstbrot. Wenn’s ein bisschen schicker sein soll, weil man selber schon nicht so schick aussieht nach der langen Nacht, kann man auch dieses Spitzen-Hangover-Häckerle mit dem scharfen Messer machen. Aber erst, wenn man Spitzenhangoverhäckerle fehlerfrei aussprechen kann. Hacken Sie fermentierten oder geräucherten Fisch, Schalotten, Knoblauch, saure Gurken und Chili ganz fein, reiben Sie eine rohe oder gekochte Rote Bete hinein und geben einen beherzten Schuss Olivenöl darauf. Mit einer Gabel zerdrückt auf Brot essen oder zu gekochten Kartoffeln. Kräuter sind natürlich auch spitze: Dill, Petersilie oder Liebstöckel.

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