SAMENFEST – nicht ärgern, nur wundern

Wie überlebt man in einer Welt, in der zwei Dosenbier weniger kosten als eine Zitrone? Warum kann ich zwei Sweatshirts zum Preis von einem gezapften Bier an der Touristenpromenade kaufen? Warum nur gibt es Fitnessdrinks für Perserkatzen und kalten Kaffee im Tetrapack? „Nicht ärgern, nur wundern“, so hat meine Großmutter Mariechen immer gesagt. Ich wundere mich ausgiebig. Über sowas und über das Wunder auf meinem Balkon, der von zwei riesigen Bohnenpflanzen dominiert wird – gezogen aus zwei winzigen, verschieden bunten Hosentaschen-Mitbringseln aus dem letzten Urlaub.

Ranken in den Himmel

Jeden Tag schaue ich beim Wachsen und beim Blühen zu, bringe eimerweise Wasser, rede gut zu, warte auf Bienen und ziehe erdbebensichere Rank-Hilfen aus Fleischerstrippe. Fast schon passe ich selbst nicht mehr auf den Balkon, so gigantisch sind sie. Was mich wundert: nur eine von beiden trägt Früchte. Nun ist es an der Zeit, sich über Saatgutverhältnisse zu wundern. Ich frage mich, ob das Sachen sind, bei denen wundern genügt, je länger ich mich schlau mache und wunderbare Wörter wie genetische Erosion, Leistungskartoffel und Vielfaltsfeindlichkeit kennen lerne. Samenfest heißt das bedeutsamste Stichwort. Es bedeutet, dass eine Pflanze Samen hervorbringt, aus denen man neue Pflanzen ziehen kann. Klingt normal, ist es aber nicht. Weil 90 % aller Pflanzen, die wir essen, es nämlich heute nicht mehr sind. Deren Samen unterliegen dem Patent von 8 – 10 Saatgutfirmen, die sich 70 – 80 % des Weltmarkts teilen. Praktischerweise stellen sie auch gleich die passenden Dünger und Pestizide her.

Schoten von Feuerbohnen nach der Ernte

Natürlich nützt ärgern nichts. Handeln müsste man. Aber wie soll das gehen im Alltag? Können wir als selbstbestimmte Verbraucher es schaffen, nur noch Früchte aus samenfesten Sorten zu konsumieren? Ich habe da eine bessere Idee zur zukünftigen Sicherstellung der Ernährung der Weltbevölkerung: Patentieren wir doch den nicht samenfesten Menschen als F1-Hybrid aus Schön und Schlau. Es gäbe weniger von uns, was zur Ressourcenlage prima passen würde und alle wären resistenter und gleicher. Es wäre so schön transparent. Zu welchem Konzern gehört eigentlich die Kontrazeptiva-Industrie?

Was ich mit meinen Bohnen machen werde, fragst Du? Ich glaube es wird am Ende eher eine Amuse-gueule-Menge sein und nichts für den großen Eintopf. Vielleicht ein einfacher Salat. Bohnen bissfest kochen. Ist die Ernte lange her, vorher über Nacht einweichen. Ein einfaches Dressing aus gutem Öl, frischer Zitrone und einem Tropfen Honig rühren. Feine Knoblauch und Schalottenwürfel dazu, gehackte Minze und Dill vom Balkon. Auch Tomaten passen gut – und ein milder, zerkrümelter Feta oder Hüttenkäse. So einfach.

In den Ranken

 

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