Es gibt so Tage, da kann ich meinen Stadtteil nicht mehr sehen. Damit meine ich nicht den Umstand, dass mir regelmäßig in den Hauseingang gepinkelt wird. Sondern eher, dass alles irgendwie zu viel Bedeutung hat. Welche Schuhe man trägt, mit wem man cornert, was man nicht hört mit’m großen Kopfhörer oder nicht isst oder überhaupt macht oder nicht. Kennst Du das? Man möchte irgendwo hinziehen, wo Leute wohnen, die weniger Meinung zu jedem Scheiß haben. Wo es okay ist, nicht tätowiert zu sein oder Fleisch zu essen, egal ob als Bart- oder Rockträgerin. Wo man seine Kinder draußen spielen lässt, barfuß sogar, und sie nicht tausendmal fragt, ob sie wirklich echt ganz sicher sind, ihren laktosefreien Aloevera-Joghurt jetzt essen zu wollen. Wo diese mitte-30jährigen Söhnchen, die für nichts was können, seltener sind. Die ihren Muddis oder anderen parentalen Daseinsformen wie dem Staat den Kühlschrank leerfressen, weil das Taschengeld schon für Koks draufgegangen ist. In einen Stadtteil, in dem man nicht beschimpft wird, weil man auf dem Gehsteig zwar lächelnd zur Seite gegangen ist, um jemanden durchzulassen, aber eben zur falschen: nicht nach rechts.
Als Simon und ich vor 25 Jahren herkamen, war die goldene Zeit auf diesem Kiez bestimmt schon vorbei, zumindest sagen so die Urgesteine – wenn sie nicht gestorben sind. Trotzdem haben wir es geliebt. Obwohl es alles ein bisschen teuer war und wir keinen Esstisch hatten, dafür immer Wein. Heute gibt es kein Regenschirmgeschäft mehr und auch nicht den kleinen Eisenwarenhandel. Dafür gibt es Boutiquen für den Hund, damit er als lebendes Accessoire nicht nur zum Lifestyle, sondern auch zum Handtäschchen passt, das bestimmt – denn hier läuft ja alles richtig – schon bald mit einem gesetzlich vorgeschriebenen Fach für das Scheißebeutelchen ausgestattet sein wird.
Handtäschchen – da sind wir bei etwas, was sich leider nicht geändert hat in diesem Viertel: Man muss auf sein Handtäschchen immer noch gut aufpassen. Sogar die Herren tragen inzwischen welche. Aber auch etwas Schönes ist geblieben: was man hier nicht mehr braucht, stellt man für Andere auf die Straße. Bücher, Schreibtischstühle oder Äpfel, die zu früh vom Baum gefallen sind. Ein bisschen schief, mit ein paar Flecken, aber für Apfelmus ganz richtig. Danke, Nachbarn – bleibt so!
Hier eine Apfelmus-Idee für Euch, die so ist wie das Gefühl, wegen dem ich vielleicht nie schaffen werde, hier wegzuziehen.
Schäle so viele Äpfel, wie Du gefunden hast, entferne das Kerngehäuse und würfle sie grob. Lagere sie solange Du schälst in kaltem Zitronenwasser, damit sie nicht braun werden. Koche sie in einem großen Topf mit einem Spritzer Zitronenwasser (nur so viel, dass sie nicht ansetzen) bei kleiner Hitze weich. Als Aromaten für dieses Gericht, habe ich Zimt, Lorbeer und Nelke genommen. Willst Du es eher für Süßspeisen verwenden, passt eine Vanillestange oder Kardamom besser. Für Erwachsene passt auch etwas Riesling, Salbei oder Chili. Löse soviel Zucker darin auf, dass es süß genug ist. Je nach Apfelsorte zerfallen die Stücke von selbst – ansonsten nimm eine Gabel oder einen Kartoffelstampfer zu Hilfe.
Hast Du mehr Apfelmus gekocht, als Du heute und morgen essen möchtest, kannst Du es in heiße, saubere Schraubgläschen füllen und überkopf erkalten lassen. Die Gläschen halten sich sogar ungekühlt mehrere Wochen. Wahrscheinlich willst Du Dein Apfelmus ganz klassisch zu Pfannkuchen, Milchreis oder Kartoffelpuffern essen. So wie es sich gehört. Oder mal zu Leber oder Lammkeule? Oder anders, so wie’s hier früher mal modern war:
Fladenbrot-Burger mit Knipp, sauren Gurken und Apfelmus von der Straße
Einfach ein Fladenbrot auf Knipp-Scheibengröße schneiden und halbieren, etwas anrösten, nach Geschmack mit etwas Senf bestreichen. Knipp von beiden Seiten hart anbraten, aber die Scheibe ganz lassen. Mit Salatblättern und sauren Gürkchen einen Burger zusammensetzen, mit Apfelmus servieren. Alternativ kannst Du Brioche oder auch Vollkornbrot nehmen.